Die Nachrichten der letzten Tage und Wochen machen das Ausmaß der Klimakrise deutlich. Nach den riesigen Waldbränden z.B. in Griechenland folgen nun in der gleichen Region Überschwemmungen durch Starkregen. Offensichtlich ist es dringend notwendig, der Klimakrise von politischer Seite aus wirksam etwas entgegenzusetzen.
Am 8. Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Die neue Landesregierung wird die letzte Landesregierung sein, die Hessen noch auf den 1,5°-Pfad bringen kann. Da die bisherigen Maßnahmen aus der Sicht von Fridays for Future Hessen nicht ausreichen, hat die Klimabewegung am 8.September in Frankfurt, einen Monat vor den Landtagswahlen, Forderungen an die zukünftige Landesregierung veröffentlicht. Die Forderungen stehen unter dem Motto „Schluss mit Gebabbel – Klimagerechtigkeit jetzt“ und wurden von Fridays for Future (FFF) in Zusammenarbeit mit den Scientists for Future erarbeitet.
FFF Hessen fordert unter anderem kostenlosen ÖPNV, sowie der rasche Ausbau dieser. Weitergehend sollen 10% des Landeshaushalts in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden. Zudem muss Klimaschutz und -anpassung kommunale Pflichtaufgabe werden, damit nicht nur reiche Kommunen sich Klimaschutz leisten können. Das Land muss dazu ausreichend Mittel bereitstellen.
Forderungen von FridaysForFuture Hessen
Präambel
Die Klimakatastrophe bedroht uns mehr denn je. Der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wird voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren erstmals mehr als 1,5 Grad betragen, jene Grenze, die wir nach dem Pariser Klimaabkommen von 2015 nicht überschreiten sollten. Extremwetterereignisse, Flutkatastrophen und Artensterben erleben wir schon jetzt überall auf der Welt. Ein Anstieg um mehr als 1,5 Grad verstärkt diese Ereignisse massiv.
Seit fast fünf Jahren streiken wir daher jeden Freitag für Klimagerechtigkeit und für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens, welches auch von der deutschen Bundesregierung unterzeichnet wurde. In diesen fünf Jahren war in Hessen jedoch eine Landesregierung im Amt, die diesem Abkommen nicht gerecht wurde.
Deshalb stellen wir, Fridays For Future Hessen, gemeinsam mit vielen gesellschaftspolitischen Akteuren, folgende Forderungen an die neue Landesregierung:
Allgemeines
Im Allgemeinen sollten die Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen sozial gerecht, überprüfbar und konkret sein. All diese Maßnahmen haben die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens zum Ziel. Zusätzlich müssen auch nicht primär auf Klimaschutz und -anpassung ausgelegte Gesetze klimaverträglich gestaltet sein.
- Pariser Klimaabkommen einhalten
- Nettonull Emissionen in Hessen bis zum Jahr 2035
- Alle bestehenden und künftigen Gesetze sowie weitere Maßnahmen der Landesregierung tatsächlich auf Klimaverträglichkeit (konform mit Paris) prüfen
- Überregionales Engagement Hessens für Klimagerechtigkeit
- Soziale Gerechtigkeit bei allen Maßnahmen mitdenken
- Alle Maßnahmen und Ziele müssen konkret und überprüfbar sein
- Die Landesregierung muss die Dringlichkeit von Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe öffentlich klar benennen
- Der gesamte öffentliche Sektor muss den Forderungen dieses Katalogs folgen
- Übernahme von Dienstreisekosten von Landesmitarbeiter*innen nur für die klimafreundlichste Anreise
- Einsatz im Bund für eine solidarische Geflüchtetenpolitik mit Anerkennung der Klimakrise und ihrer Auswirkungen als Fluchtgrund und Entwicklung von verbesserten Schutzmaßnahmen
Bauen
Wohnungsnot ist vielen Hess*innen ein Begriff, daher muss dringend neuer Wohnraum geschaffen werden. Dabei müssen allerdings soziale Kriterien bedacht und klimaschädliche Baustoffe wie Beton durch nachhaltige Alternativen ersetzt werden. Gleichzeitig sollten für Neubauten bereits versiegelte Flächen genutzt werden.
- Förderung von Neubauten nur anhand sozialer (solidarischer Wohnungsbau) und ökologischer (nachhaltige Baustoffe) Kriterien
- Landesweite Versiegelung von Flächen budgetieren: netto null
- Klimaanpassung im Bau, z.B. durch Begrünung
- Energetische Sanierung von Altbauten fördern
- Beratungsangebote, z.B. für energetische Sanierung von Privat- oder Firmengebäuden
- Unterordnung von Denkmalschutz unter Klimakrisenanpassung und Klimagerechtigkeit
- Anpassung von Verordnungen und Baugenehmigungen an unsere Forderungen
Bildung
Die Klimakrise ist eine Kommunikationskrise. Vor der Bedrohung durch diese Katastrophe wird von einem Konsens der zuständigen Wissenschaft seit Jahrzehnten gewarnt. Gehört wird sie jedoch nicht. Die Klimakatastrophe kann nur angegangen werden, wenn alle Menschen ausreichend in dem Thema fortgebildet, Fachkräfte aus- und weitergebildet und insbesondere auch Schüler*innen sensibilisiert werden.
- Aufklärung über und Projekte zu Klimagerechtigkeit, Klimakrise, Nachhaltigkeit in allen Bildungseinrichtungen (auch z.B. Volkshochschulen und Museen)
- Verpflichtende Fortbildungen zu Nachhaltigkeit, Klimakrise und Klimagerechtigkeit (für Lehrer*innen, Hochschuldozierende, etc.)
- Hessisches Bildungssystem muss es sich zur klaren Aufgabe machen, den Fachkräftemangel im Bauhandwerk und weiteren systemrelevanten Berufen zu beheben
- Finanzierung von klimaneutralen Modellhäusern / Modellanlagen für die Berufsausbildung im Energiesektor
Energie
Im alltäglichen Leben benötigen wir ständig Energie z.B. in Form von Strom. Auch die Industrie ist auf Energiequellen angewiesen. Der Energiebedarf wird in Zukunft sogar noch steigen. Dabei ist die Nutzung fossiler Energieträger allerdings stark klimaschädlich und muss daher schnellstmöglich beendet werden.
- 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035
- Import von Energie, soweit es geht, reduzieren und damit unabhängiger werden
- Beschleunigung der Genehmigungsverfahren bei Windkraft, Netzausbau etc. (Bürokratieabbau in den Ministerien & Änderung der hessischen Bauordnung)
- Mindestens 10% der hessischen Landesfläche als Windvorrangflächen ausweisen
- Keine Ausschlusswirkung von Windvorrangflächen
- Offensive der Landesregierung für Freiflächen- und Agri- und Floating PV
- Landeseigene Gebäude bis 2028 vollständig mit PV ausstatten
- Solardachbörsen und Verpachtungsmodelle von Dächern für die PV-Nutzung fördern
- Pflicht zur Nutzung von industrieller Abwärme bis 2035
- Verpflichtende Umsetzung von kommunalen Wärmeplänen
Finanzen
Wir wissen längst: Die teuerste politische Maßnahme, die getroffen werden kann, wäre, nicht genügend Klimaschutz zu leisten. Vom Katastrophenschutz über Ressourcenbeschaffung bis zur Unterbringung von Geflüchteten aufgrund der Klimakrise. Die Kosten, die durch eine falsche Klimapolitik entstehen werden, reichen weit ins Unbezahlbare. Daher muss Hessen heute mindestens 10% des Landeshaushaltes in Klimaschutz und Klimaanpassung investieren, damit wir morgen nicht für die Folgen der Klimakrise zahlen müssen.
- Landeshaushalt an Nachhaltigkeitskriterien knüpfen
- Mindestens 10% des Landeshaushaltes in Klimaschutz und Klimaanpassung investieren
- Keine klimaschädlichen direkten und indirekten Subventionen
- Abzug von Investitionen aus Unternehmen mit Aktivitäten in der Förderung, Verarbeitung oder dem Handel von fossilen Brennstoffen (gilt für Land, Unternehmen mit mehrheitlicher Beteiligung des Landes und sämtliche Stiftungen des Landes)
- Orientierung an Kriterien des Gemeinwohls und Vereinbarkeit mit 1,5°-Ziel bei Kreditvergabe durch Land und landeseigene Betriebe oder Banken
Forstwirtschaft
Hessen ist das waldreichste Bundesland. Dieser Wald ist einerseits ein wichtiges Mittel im Kampf gegen die Klimakrise und ist andererseits selbst stark von ihr bedroht. Daher muss das Ziel der Landesregierung sein, möglichst viel gesunden Wald zu erhalten und Aufforstung mit Blick auf Klimaanpassung zu betreiben.
- Hessische Waldwirtschaft orientiert sich am Greenpeace Szenario Waldvision 2018
- Aufbau von unberührten Waldgebieten zur Schaffung von Kohlenstoffsenken (Naturwald, Prozessschutzflächen)
- Aufforstungsprogramme finden unter der Maßgabe eines klimakrisenresistenten Waldumbaus statt
- Beratungsstellen und Förderprogramme für klimawandelresistenten Waldumbau für private Waldbesitzer*innen
- Keine Kahlschläge, Pflicht zur Einzelbaumentnahme
- Rückegassenabstand von 80 Metern und Reduzierung der Befahrung
Kommunen
Da Klimaschutz und Klimaanpassung für Kommunen noch immer freiwillig sind, können besonders arme Kommunen kaum Maßnahmen ergreifen. Diese sind es dann, die aufgrund fehlender Anpassungsmaßnahmen in Zukunft stärker unter den sich durch die Klimakrise häufenden Naturkatastrophen wie Überflutungen leiden werden. Daher ist es nötig, Klimaschutz und -anpassung als Pflichtaufgabe für Kommunen festzulegen und ihnen ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen.
- Klimaschutz und -anpassung als Pflichtaufgabe für Kommunen
- Das Land muss den Kommunen ausreichende Mittel für Umsetzung hier genannter Maßnahmen einfach und schnell erreichbar zur Verfügung stellen
- Transparenz bezogen auf Klimaneutralitätspläne der Kommunen und Gründe für Nichtumsetzung von Maßnahmen oder Nichtabrufung von Fördergeldern
Landwirtschaft & Ernährung
Die moderne Landwirtschaft ist für unsere heutiges Lebens unerlässlich (Ernährung, Energie und Rohstoffe) und hat dabei bedeutende Effekte auf Umwelt und Klima. Eine zukunftsorientierte Landwirtschaft, die Klima- und Artenschutz aktiv unterstützt, muss angemessen gefördert werden, während Tierbestände und der Einsatz von Düngemitteln reduziert werden müssen.
- Verstärkte Förderung der ökologischen Landwirtschaft
- Ökologisch-soziale Pachtkriterien auf öffentlichen Flächen
- Förderung regionaler Vermarktung
- Systematischer Abbau der industriellen Tierhaltung
- Mindestens Halbierung der Tierbestände bis 2035
- Förderung des Stallumbaus für mehr Platz und des Umstiegs auf weniger Tiere
- Vollverwertung von Fleischtieren fördern
- Maßnahmen gegen Ausgleich sinkender nationaler Fleischproduktion durch Importe
- Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung um mindestens 50% bis 2030
- Unterstützung alternativer Lebensmittelnetzwerke wie Solidarische Landwirtschaft, Urban Gardening, Biomusterregionen, …
- Erhaltung und Förderung von Dauergrünland
- Förderung der Entwicklung und Nutzung alternativer Anbaukonzepte wie Permakultur, Agroforstwirtschaft und konservierende Bodenbearbeitung
- Maßnahmen zum reduzierten und bedarfsgerechten Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie geeigneten Pufferzonen zu natürlichen Ökosystemen
- Einschränkung mineralischer Dünger
- Verbot von Totalherbiziden
- Einschränkung von Pestiziden für Schädlinge
- Förderung alternativer Düngekonzepte wie z.B. Leguminosen
Mobilität
Der Verkehrssektor spielt mit einem Anteil von 38,4% an den Gesamtemissionen Hessens (2020) eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Klimakrise. Daher ist es notwendig, diesen grundlegend umzugestalten. Güterverkehr muss auf die Schiene und Personenverkehr in den ÖPV verlagert werden.
- Kostenloser ÖPNV
- Barrierefreier ÖPV
- 20-minütiger Takt von ÖPNV-Verbindungen, alternativ in ländlichen Gebieten flächendeckende Anrufsammeltaxen zu Knotenpunkten zum Preis der sonstigen ÖPNV-Angebote
- Ausbau des Bahnnetzes und konsequente Reaktivierung stillgelegter Gleise
- Unterstützung des Aufbaus separater Busspuren
- Grundsätzliche Priorisierung des ÖPV gegenüber motorisiertem Individual- und Flugverkehr
- Barrierefreie und attraktivere Geh- und Radwege
- Finanzielle Unterstützung der Kommunen beim Bau von vom Autoverkehr baulich abgetrennten Fahrradwegen von in der Regel mindestens 2m Breite, die zusammen ein barrierefreies Radverkehrsnetz bilden
- Parkplätze in Innenstädten in Grünflächen umwandeln
- Tempolimit 30 km/h innerorts auf Landesstraßen
- Die Landesregierung soll sich für den Stopp des Autobahnausbaus einsetzen
- Umleitung von Mitteln für den Straßenbau in ÖPV und Fahrradwege
- Stopp der Subventionen für hessische Flughäfen
- Verbot von Inlandsflügen sowie Privatjetflügen von und zu hessischen Flughäfen
Politische Mitbestimmung und Jugend
Im Kontext der Klimakrise ist klar, dass politische Mitbestimmungsrechte erweitert werden müssen. Dies gilt besonders für die Jugend, welche von den Folgen der Klimakrise verstärkt betroffen ist.
- Das hessische Versammlungsgesetz muss das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ohne Kriminalisierung der Teilnehmenden wahren
- Absenkung des Wahlalters bei Landtags- und Kommunalwahlen auf 16 Jahre
- Schaffung eines hessischen Jugendparlaments mit Initiativrecht und Anhörungspflicht bis spätestens 2025
- Bildung von Bürger*innenräten, die sich aktiv mit einbringen können
Wirtschaft
Die Art und Weise, wie wir seit Jahrzehnten wirtschaften, ist überhaupt erst die Ursache der Klimakrise. Das Streben nach unendlichem Wachstum auf einer endlichen Erde ist nicht klimagerecht. Daher braucht es Regelungen des Landes, damit in Hessen klimagerecht gewirtschaftet wird.
- Bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung, insbesondere in für Klimaschutz und -anpassung relevanten Berufen wie z.B. Erneuerbare Energien, ÖPV, Bausektor etc., um dem dortigen Fachkräftemangel entgegenzuwirken
- Förderprogramm der Landesregierung für reparierbare, kreislauffähige und langlebige Produkte
- Bevorzugung kreislauffähiger Produkte bei öffentlichen Ausschreibungen